Ältere Menschen sind erfahrene Konsumentinnen und Konsumenten, sie möchten nicht durch spezielle Senioren-Produkte, die Alter, Gebrechlichkeit oder gar Pflege suggerieren, stigmatisiert werden. Was den Älteren nützt, tut auch den Jüngeren gut! Der Ansatz des „Design für Alle“ (oder auch Universal Design) bezieht sich auf Umgebungen, Produkte und Gebäude, die für alle Menschen zugänglich sind, unabhängig von Alter und körperlichen Möglichkeiten. So können barrierefreie Wege mit dem Rollator genauso genutzt werden, wie mit Rollstuhl, Kinderwagen und sind auch für Fußgängerinnen und Fußgänger bequem. Wird dieses Prinzip auch bei der Produktgestaltung zugrunde gelegt, entstehen intuitiv nutzbare sowie praktische Produkte, deren Mehrwehrt  in der Nutzerfreundlichkeit liegt (und nicht in der augenscheinlichen „Barrierefreiheit“).

Ein gutes Design für Alle ist daher unaufdringlich und überzeugt alle Menschen. Bei deren Entwicklung wird auf die Einbeziehung spezieller Endkonsumenten sowie unterschiedlicher Fachbereiche besonderen Wert gelegt. So ist ein wesentliches Element der LINGA Woche neben der Interdisziplinarität auch der Generationendialog und die Methode „Design Thinking“, damit junge Studierende für das Alter forschen und generationenfreundliche Konzepte, Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Um die möglichen körperlichen Einschränkungen, die es im hohen Alter geben kann, auch am eigenen Leib zu spüren, setzen wir bei unseren Veranstaltungen und Workshops neben den Fachvorträgen unseren Alterssimulationsanzug „ERNA“ ein.

Wie kommt das „Design für Alle“ an die Menschen?

Um das große Thema generationengerechtes Wohnen voranzubringen, brachte die LINGA gemeinsam mit dem Niedersachsenbüro Neues Wohnen im Alter am 29.11.2022 Fachleute aus Wohnberatung, Politik, Handel und Handwerk zusammen. Bei der Online-Konferenz „Komfortables Wohnen in jedem Alter“ diskutierten knapp achtzig Teilnehmende Marktzugänge für Produkte, die für alle Menschen einfach nutzbar sind, wie Lösungen im „Design für Alle“ Menschen zugänglich gemacht werden können sowie Beratungs- und Finanzierungsmöglichkeiten für Interessierte.

„So lange wie möglich so eigenständig wie möglich zu Hause zu wohnen, sicher und komfortabel“, brachte die niedersächsische Staatssekretärin im Sozialministerium Dr. Christine Arbogast auf den Punkt, was Menschen sich im Alter wünschen – und was angesichts des demographischen Wandels gesellschaftlich notwendig wird. Konzepte und Produkte, die dies ermöglichen, gibt es zwar. Sie werden aber noch zu wenig wahrgenommen und nachgefragt.

Das hat auch mit dem Stigma des Älterwerdens zu tun. „Das ist nichts für mich“ – diese Reaktion beobachtet Simon Kesting häufig, wenn Menschen barrierefreien Lösungen begegnen. „Wie bringen wir sie dazu, das zu mögen, was ihnen guttut?“, fragt der Experte für inklusives Design. Herausforderungen und Lösungsansätze diskutierten Beratende, Betroffene und Produktanbietende von auf der digitalen Konferenz.

Räume zum Erleben

Um Hürden abzubauen, braucht es nicht nur ansprechende Produkte, sondern auch positive Erlebnisse. Dafür eignen sich zum Beispiel Urlaubsorte: Schicke barrierefreie Bäder und eine sensorgesteuerte Bettbeleuchtung sind in Hotels heute gang und gäbe. Urlaubsreisende erleben diese Dinge in entspannter Atmosphäre und guter Stimmung. Und wer trägt nicht gerne ein Stück Urlaub ins eigene Zuhause?

Auch Musterwohnungen vermitteln Ratsuchenden einen Eindruck des komfortablen Wohnens: In räumlicher Nähe von Handwerksbetrieben, Beratungsstellen oder auch Gesundheitszentren angesiedelt, bieten sie den idealen Raum für Austausch zwischen allen Beteiligten.

Messen, Möbelhäuser oder Baumärkte sind weitere wichtige Räume, um Ideen und Produkte im „Design für Alle“ erlebbar zu präsentieren. Stöbern und Kaufen im Baumarkt kann dabei nicht nur Freude machen. Es hilft auch, Investitionshürden zu senken, die Anschaffungen und Umbauten oft im Wege stehen. Denn darin waren sich viele Teilnehmende der Konferenz einig: Bisher finden sich Produkte im “Design für Alle” eher in hochpreisigen Marktnischen. Und barrierefreie Räume einzurichten, erfordert individuelle Beratung und Planung durch Fachleute, die ebenfalls ihren Preis hat.

Geschäftsmodell für Fachbetriebe

Der Bad- und Heizungsexperte Stefan Bahlmann, Eigentümer eines niedersächsischen Familienbetriebes, sieht angesichts steigender Zahlen älterer Menschen in der kombinierten Beratung und Ausführung langfristig tragfähige Geschäftsmodelle für Handwerksbetriebe. „Wer sich mit den Möglichkeiten der finanziellen Förderung auskennt, ist weniger abhängig von Konjunkturwellen“, sagt er. Bahlmann bietet barrierefreie Ausstattungen zudem unter dem schönen Label „KomfortPlus“ an, um Kunden emotional anzusprechen. Und er ist überzeugt, mit seiner Arbeit auch etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun. Das spricht offensichtlich auch junge Menschen an: „Wir bekommen häufig Initiativbewerbungen, vom Fachkräftemangel ist bei uns nichts zu spüren“, erzählt er auf der Online-Konferenz.

Hürden für den Markteinstieg

Junge Unternehmensgründende bemängelten gesetzliche und politische Hürden: Produkte mit einem Nutzen für Alle würden beispielsweise nicht in das Pflegehilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen aufgenommen, auch wenn sie großen Mehrwert für eingeschränkte Personen bieten. Und die Unternehmensförderung sei oft ratlos, wenn ein neues Produkt gleichzeitig sozial und innovativ ist. Die Gründenden wünschen sich neue systemische Denkansätze, die Prävention und Erhalt der Selbstständigkeit älterer Menschen stärker berücksichtigen. Ihre Forderung: „Barrierefreie Marktzugänge für barrierefreie Produkte“. Für manche ist es zum Beispiel hilfreich, ihr Produkt im Anwendungskontext präsentieren zu können. Eine Möglichkeit hierfür bietet der Verleih an Musterwohnungen.

Lösungen aus dem Alltag

Mehrfach hoben Konferenzteilnehmende hervor: Die Entwicklung generationengerechter Produkte sollte mehr im Dialog und in co-kreativen Prozessen mit Betroffenen stattfinden. Deren Bedarfe ergeben sich aus dem alltäglichen Leben, und Menschen (er-)finden ständig kleine Lösungen, die Designer aufgreifen könnten. Sie könnten zum Beispiel mit Wohnberatungsstellen zusammenarbeiten, um auf diesem Wege Nutzerinnen und Nutzer in Entwicklungsprozesse einzubinden. An Hochschulen finden Begegnungen von Entwickelnden mit ihren Zielgruppen gelegentlich schon statt, etwa bei öffentlichen Prototypen-Tests. Auch die jährlich stattfindenden LINGA-Wochen bieten Studierenden Gelegenheit, im Dialog mit älteren Generationen Ideen fortzuentwickeln. In handwerklichen Ausbildungen sollten soziale Aspekte ebenfalls mehr Beachtung finden, meinten einige Diskutierende.

Beratung und Betriebe vernetzen

Wohnberater Dr. Dieter Sudbrink schilderte eine Herausforderung, auf die Anbieter von Ausstattung häufig treffen: Bei Bau- oder Umbaumaßnahmen werden Möbel, Licht oder Akustik als Letztes bedacht. Dann ist die Planung aber nicht mehr flexibel und die finanziellen Mittel sind begrenzt. Präventive Wohnberatung kann helfen, Räume von vornherein so zu konzipieren, dass zusätzliche Spezialmaßnahmen eher die Ausnahme als die Regel sind. Dafür sollten Beratende eng mit ausführenden Betrieben zusammenarbeiten. Für nachträgliche Anpassungen bei verändertem Bedarf sind “kleine Helfer” wichtig: smarte Lösungen, die sich einfach in den Bestand integrieren lassen. Solche Innovationen könnten wiederum über die Beratungen einen Weg auf den Markt finden. Wichtig dabei war den Beratenden in der Diskussion, eine neutrale Dienstleistung zu bieten. Denn Ratsuchende wünschen sich eine Beratung, hinter der sie keine kommerziellen Interessen vermuten müssen. Und öffentlich geförderte Beratungsstellen sind ohnehin der Neutralität verpflichtet. Diese können sie aber nur gewährleisten, wenn möglichst viele Betriebe generationengerechte Lösungen im Portfolio haben. Um Betriebe und Beratungsstellen stärker ins Gespräch zu bringen, regten einige Teilnehmende an, Best-Practice-Beispiele zu sammeln und regelmäßig zu veröffentlichen.

Gemeinsam mit der Politik

Auf politischer Ebene engagiert sich das Land Niedersachsen unter anderem mit der Tourismusinitiative “Reisen für Alle”. May-Britt Pürschel, Referatsleiterin Tourismus + Kreativwirtschaft im niedersächsischen Wirtschaftsministerium, berichtete von Strandzugängen in Kurorten, die barrierefrei gestaltet wurden. Auch die Reiseinfrastruktur werde kritisch unter die Lupe genommen, um Barrieren aufzudecken und zu beseitigen. Doch wie können sich verschiedene Akteure der politischen und wirtschaftlichen Ebene noch besser vernetzen, um das Querschnittsthema generationengerechtes Wohnen öffentlich sicht- und greifbarer zu machen? Pürschel spielte die Frage galant zurück und ermunterte die LINGA als disziplin-, branchen- und ressortübergreifende Stelle auf Landesebene: „Nehmen Sie den Ball auf!“

(Text Dr. Ulrike Schneeweiß, Freie Wissenschaftsautorin)

Downloads und Links

Hier finden Sie die Zusammenfassungen der Thementische, die freigegebenen Präsentationen sowie weiterführende Informationen zu den Inhalten der Konferenz.

Aufzeichnung der Konferenz

Haben Sie die Konferenz verpasst oder möchten noch einmal reinschauen? Dann finden Sie hier die Aufzeichnung.

Die Konferenz war eine Kooperationsveranstaltung von:

(Bild: sodawhiskey – stock.adobe.com)