Im Interview mit der freien Wissenschaftsautorin Dr. Ulrike Schneeweiß werfen Delia Balzer und Sina Seidel einen Blick in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der LINGA. Ein Gespräch über Brückenfunktionen, Altersbilder und einen Elefanten im Raum.

Was hat Sie motiviert, sich mit der LINGA auf den Weg und für die Älteren in unserer Gesellschaft stark zu machen?  

Balzer: Wir lebten früher mit meinen Schwiegereltern und -großeltern auf einem Hof zusammen, so hatte ich schon immer eine Nähe zu älteren Generationen. Während des Studiums konnte ich mich dann als Praktikantin im Sozialministerium in die Gestaltung der seniorenpolitischen Leitlinien einbringen, die gerade auf den Weg gebracht wurden. Schon damals begeisterte mich die Vielfalt der tollen Themen in Niedersachsen.  

Wie hat sich Ihre Arbeit über die Jahre entwickelt?  

Balzer: Auf der persönlichen Ebene sind wir mit wachsender Erfahrung mutiger und kreativer geworden. Wir greifen neue Themen auf, präsentieren sie und probieren neue Formate aus. Außerdem hat sich gezeigt, wie wichtig Netzwerke und Kontakte auf Landes- und Bundesebene für unsere interdisziplinäre Arbeit sind.

Seidel: Die Begeisterung für die Arbeit mit Älteren kam mit der Arbeit bei der LINGA. Als ich anfing, waren technische Assistenzsysteme mein Schwerpunkt. Meine Arbeit war von vornherein geprägt von dem Motto: „Was für Ältere unabdingbar ist, ist für Jüngere oft ein Mehr an Komfort und Service. Nach meiner Elternzeit hat sich mein Themenfokus verändert, da übernahm ich die Organisation und Leitung der LINGA Woche….

…auf die wir gleich noch zu sprechen kommen.

Balzer: Maßgeblich haben die Trägerwechsel unsere thematische Ausrichtung geprägt. Bei der Wolfsburg AG haben wir uns anfänglich unter dem Aspekt der Wirtschaftsförderung vor allem mit Produkten und Dienstleistungen für Seniorinnen und Senioren beschäftigt. Als 2009 die assistiven Systeme als technisches Thema hinzukamen, war das für uns eine große Herausforderung. Der haben wir uns mit Leidenschaft angenommen und ein sehr großes bundesweites Netzwerk initiiert.

Mit dem Wechsel zum Braunschweiger Informatik- und Technologie-Zentrum ging die Nähe zur Forschung einher, seither sind wir immer wieder Partner in interdisziplinären Forschungsprojekten. Der Wechsel zum Innovationszentrum Niedersachsen brachte die strategische Nähe zur Landesregierung und bescherte uns noch mal mehr Aufmerksamkeit des Sozial- und Wirtschaftsministeriums – zwei Häuser, zwischen denen wir mit unseren Themen wie Tourismus, Mobilität und E-Health inzwischen eine starke Brücke bilden.

Seidel: Und umgekehrt sind wir als niedersächsischer Think tank hier natürlich nah an Trends und Strategien der Landesregierung. Wir können diese schnell aufgreifen und uns auch in innovativen Formaten ausprobieren. Das ist oft eine neue Herausforderung, macht aber auch Spaß!

Wenn ich übrigens ans Brückenschlagen denke, denke ich natürlich wieder an die LINGA Woche, denn da bringen wir die Studierenden verschiedener Disziplinen wie Design, Technik, Gerontologie zusammen. Sie lernen dabei, sich und ihre jeweiligen Auffassungen und Ansichten zu verstehen und miteinander zu sprechen.

Miteinander zu sprechen, müssen manchmal auch Ältere und Jüngere lernen, zum Beispiel wenn es um digitale Techniken und Medien geht. Können diese Techniken auch Generationen verbinden?

Seidel: Ja. Gerade in der Kommunikation sehe ich ein großes Potenzial für die Digitalisierung. Während Corona mussten die Älteren sich gezwungenermaßen mit digitalen Medien auseinandersetzen, und das hat funktioniert. Neben den bisherigen Medien entwickeln sich ganz neue Ansätze und Technologien, die insbesondere den Austausch mit Älteren ermöglichen.   

Balzer: Zum Beispiel das tolle sozial-innovative Projekt „Machbarschaft“,…

Seidel: … bei dem eine App Hilfesuchende per Telefonanruf mit Helfenden verbindet. Ein Pilotprojekt startet gerade im Landkreis Leer.  

Balzer: Technik kann Generationen auch verbinden, indem beispielsweise Schülerinnen und Schüler oder Studierende sich bereit erklären, sie den Älteren erst einmal näher zu bringen. Von dem entstehenden Austausch profitieren oft beide Seiten: die Jüngeren lernen, etwas mehr Geduld und Müßiggang zu haben, die Älteren bekommen eine Portion Mut, neue Dinge zu nutzen.

Frau Seidel, sie betreuen die jährliche LINGA Woche, bei der Studierende Techniken, Projekte und Designs für Ältere entwickeln. Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs und dessen Perspektive auf die ältere Generation?

Seidel: Die LINGA Woche ist natürlich mein Herzensprojekt! Es ist wichtig, den Jüngeren zu vermitteln, dass Sie bei Ihren Produkten oder Projekten auch die Bedarfe der Älteren mitdenken. In der LINGA Woche befassen sich viele Studierende das erste Mal mit den Herausforderungen und Problemen der älteren Bevölkerung. Wenn sie sich dann in ihren interdisziplinären Teams mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen, kann ganz viel entstehen….

Balzer: … und dann grassiert das „LINGA Wochen Fieber“ und steckt alle an: Studierende, Hochschulangehörige und die regionalen Partnerinnen und Partner. Der größte Mehrwert für die Studierenden ist der lebenspraktische Bezug der Projekte und die Möglichkeit, einen eigenen Beitrag zu leisten. Auch im rein digitalen LINGA Hack ist dieser Funke 2021 übergesprungen.  

Die LINGA arbeitet auch mit niedersächsischen Startups zusammen. Welche Bedeutung haben sie mit Blick auf die Bedarfe der Älteren und wie stehen sie im Austausch mit ihrer Zielgruppe?  

Balzer: Die niedersächsischen Startups haben die Zielgruppe der Älteren mittlerweile für sich entdeckt. Und auch das Wirtschaftsministerium hat die Relevanz sozialer Innovationen erkannt. Wir bringen Startups mit der Zielgruppe der Älteren in Austausch, zum Beispiel in Form von „Fokusgruppen“ mit älteren Menschen, die auch gerne mal diskutieren, Prototypen ausprobieren und Feedback geben. Die jüngeren Menschen sind sehr dankbar für die Zeit, die sich die Seniorinnen und Senioren nehmen. Stark an Bedeutung gewonnen hat zudem der Bereich „Design“ in der Ausbildung: Die Entwicklungsmethode des Design Thinking etwa hat schon früh im Prozess den Austausch mit der Zielgruppe im Blick. Das Social Innovation Center der Region Hannover, das wir vor vier Jahren initiiert haben, ist ein Ort, an dem sozial-innovative Ideen weiterentwickelt werden.  

Frau Balzer, die LINGA erinnert manchmal an den berühmten Elefanten im dunklen Raum: Die vielen Partnerinnen und Partner sehen einzelne Teile. Sie aber lenken die Geschicke des ganzen großen Tieres. Sie haben vielfältige Themen beackert, Projekte und Initiativen auf den Weg gebracht. Was reizt sie bis heute an Ihrer Tätigkeit?  

Balzer: Ich muss gerade schmunzeln… Als indische Maharadscha den LINGA-Elefanten reitend – das könnte mir auch mal gefallen! Ich bin Vollblut-Netzwerkerin, arbeite gerne im Team und begeistere Leute sehr gerne. Und unsere Themen sollten Menschen begeistern. Denn letztlich möchten wir alle gut alt werden und lange selbstbestimmt bei hoher Lebensqualität zu Hause wohnen bleiben. Deshalb ist es für mich der beste Job, jetzt schon etwas für die eigenen Zukunft zu initiieren. Mit inzwischen 53 Jahren komme ich meiner eigenen Zielgruppe langsam näher. Ich entdecke Fallstricke, über die ältere Menschen stolpern – mittlerweile stolpere ich selber gelegentlich. Auch gehe ich viel sensibler mit unserem Altersbild um; auf keinen Fall möchte ich in einen „Ü50“ Topf geworfen werden: In dieser Gruppe stecken ja verschiedene Generationen, Lebensphasen und Zielgruppen.  

Werden diese verschiedenen Generationen von der Gesellschaft wahrgenommen?  

Balzer: Die Altersbilder und ihre Wahrnehmung verändern sich. Hätten wir die Digitalisierung vor 15 Jahren – mit dem damals herrschenden Altersbild – gehabt, hätten wir die Alten dabei vermutlich vergessen. Heute denken Gesellschaft und Politik die älteren Menschen schon mit. Wir müssen die Jüngeren aber noch häufig für die Bedarfe der verschiedenen Generationen sensibilisieren. Eine Gruppe ehrenamtlich tätiger Senioren gab mir mal das Feedback, wie dankbar sie für ihre Mitarbeit in unserem Projekt „Generationenfreundliches Einkaufen“ waren: „Jetzt finden wir in unserer Gemeinde endlich auch Gehör für unsere anderen Themen“, berichteten sie.  

Was ist Ihr Ziel für die nächsten Jahre?  

Seidel: Ich hoffe, dass die LINGA in der Strategie der niedersächsischen Landesregierung berücksichtigt wird, so dass wir weiterhin für unsere Themen sensibilisieren und Aufmerksamkeit auf den generationengerechten Alltag fokussieren können.  

Balzer: Ich wünsche mir, dass ich meine Kreativität weiter bei der LINGA einbringen kann, und dass wir gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Innovationszentrum unsere Strahlkraft weiter entfalten und neue Impulse aufgreifen, um weiterhin thematische Brücken zu bauen.