Schneeweiß: Hallo und herzlich willkommen zu diesem Podcast. Ich bin Ulrike Schneeweiß, freie Wissenschaftsautorin aus Hannover, und heute hier im Innovationszentrum Niedersachsen zu einem Gespräch mit Delia Balzer und Sina Seidel: „Hallo Frau Balzer, hallo Frau Seidel.“ Sie beide sind die Köpfe der Landesinitiative Niedersachsen Generationengerechter Alltag, kurz LINGA. Die Initiative fördert die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen, die älteren Menschen ein möglichst selbstbestimmtes Leben im Alltag ermöglichen. In diesem Jahr feiert die LINGA Geburtstag. Seit 15 Jahren bringt sie Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik zusammen, die gemeinsam soziale Innovationen hervorbringen. Anlässlich des Jubiläums erzählen Delia Balzer und Sina Seidel heute von ihren Erfahrungen, Errungenschaften und ein bisschen von ihren Plänen für die Zukunft. Ich frag mal so in die Runde, Frau Balzer, Frau Seidel, wer von Ihnen anfangen mag? Haben Sie eine Vision für den generationengerechten Alltag in unserer Gesellschaft?
Balzer: Ich würde da gern Frau Professor Ursula Lehr, die Ehrenvorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, zitieren anlässlich unseres zehnjährigen Jubiläums. Dort hatte sie nämlich einen Vortrag gehalten mit dem Titel „Eine Welt für alle Lebensalter“ und ich glaube, das fasst das ganz schön zusammen und es wäre eine Vision für die Zukunft, wenn Produkte und Dienstleistungen, aber auch Gebäude so gestaltet sind, dass sie für alle Generationen, jung oder alt, gut nutzbar sind. Das fängt an bei den Durchgängen im Supermarkt, die breit genug sind, dass ein Kinderwagen durchpasst, ein Rollator, ein Rollstuhl und geht natürlich bis zum Flughafen, wo die Beschilderung so ausgewiesen ist, dass man intuitiv und leicht die Wege findet. Der Fahrkartenautomat, der intuitiv gut genutzt werden kann, egal ob ich jetzt neun Jahre alt bin und mit meiner Mutter unterwegs sein möchte oder ob ich schon ein älterer Mensch bin, also die Vision einer Welt für alle Lebensalter.
Seidel: Dem würde ich genauso zustimmen.
Schneeweiß: Um Sie kurz vorzustellen, Frau Seidel, Sie sind seit 2013 bei der LINGA zunächst als Projekt-Assistentin und später verantwortlich für die Themen „Technik“ und „Ambient Assisted Living“, sowie als Themen-Managerin der jährlichen LINGA Woche. Und Frau Balzer, Sie waren selbständige Biolandwirtin, haben eine homöopathische Heilpraxis betrieben und bis 2007 Sozialwesen studiert, bevor Sie dann bei der LINGA ein- und später aufgestiegen sind. Frau Balzer, was hat Sie motiviert sich damals mit der LINGA auf den Weg und für die Älteren in unserer Gesellschaft stark zu machen?
Balzer: Zum einen meine typisch bunte Frauen-Vita, wie man schon in der Anmoderation gehört hat. Das heißt, es gab dort einige Lebensumbrüche und Neuorientierung. Ich bin beruflich breit aufgestellt und als wir damals in der Landwirtschaft tätig waren, hatten wir sozusagen eine Großfamilie. Wir hatten mit der Schwiegermama in einem Haus gewohnt und ihre Eltern, meine Schwieger-Großeltern, waren mit im Haus und ich hatte immer ein sehr enges Verhältnis zu meinen Großmüttern. Das heißt, die Nähe zur älteren Generation war für mich schon immer gegeben im Privaten. Ich habe dann im Laufe meines Lebens feststellen müssen: Den Weg, den ich gehen wollte, der ging nicht mehr und war mit Mitte 30 vor die Wahl gestellt. Was mache ich denn jetzt nochmal? Dann hatte ich recherchiert und einen Studiengang gefunden, der speziell in der Sozialpädagogik die Senioren im Blick hatte und das fand ich spannend und ich habe gedacht, das kommt meiner bunten Vita und breit aufgestellten Kompetenz sehr entgegen und daher habe ich mich diesem Studium gewidmet. Und während des Studiums konnte ich ein Praktikum machen im Sozialministerium in Hannover. Damals wurden seniorenpolitische Leitlinien auf den Weg gebracht und ich konnte mich als Praktikantin dort sehr einbringen und habe gedacht: „Wow, welche Vielfalt und tolle Themen auch hier in Niedersachsen.“ Als ich dann fertig war mit dem Studium, oh Wunder, hatte die LINGA gerade eine Sprecherin und Koordinatorin gesucht und dann habe ich mich beworben und ja, seitdem bin ich dort nicht mehr wegzudenken.
Schneeweiß: Als Sie damals anfingen bei der LINGA, da gehörte zum Bild der Älteren in unserer Gesellschaft auch die deutliche Wahrnehmung der Last oder sogar der Belastung des sozialen Systems durch die Kosten für Renten. Und wenn man sich die Zielsetzung der LINGA aus dem Jahr 2006 ansieht, ihrem Gründungsjahr, erkennt man einen Fokus auf ökonomische Interessen. Also auf wirtschaftliche Potenziale der rüstigen Rentner/-innen, sowie auf die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen für den Markt der Alten. Es ging also darum, diesen Markt für niedersächsische Unternehmen zu erschließen. Die Schwerpunkte der LINGA haben sich dann über die Jahre verändert. Themen wie das Ambient Assisted Living und die Digitalisierung rückten in den Mittelpunkt und an vielen Stellen lautet das Motto „Was gut ist für die Älteren, nutzt auch den Jungen“. Wie hat sich ihre Arbeit bei der LINGA über die Jahre so entwickelt?
Balzer: Ich glaube, auf zweierlei Weise hat sich unsere Arbeit entwickelt und verändert. Ich glaube, auf dieser persönlichen Ebene ist mit der Erfahrung mehr Mut ins Tun gekommen, das heißt mutig neue Themen angehen, mutig präsentieren auf der Bühne, innovative Veranstaltungsformate auszuprobieren und keine Angst vor großen Tieren haben. Also die Nähe zur Politik und wenn wir dann beim Tag der Niedersachsen ausgestellt haben und eine Aktionskünstlerin dabeihatten, die mimte eine rüstige steppende 93-Jährige, dann hatte die mal eben steppenderweise unseren Herrn Ministerpräsidenten in unser Zelt gelotst. Erst im Nachhinein haben wir erfahren, weil wir damals noch nicht so im Bilde waren, man hätte das offiziell anfragen müssen und das ist aber trotzdem gut angekommen und das wurde mitgespielt. Aber es ist, denke ich, so ein bisschen mehr Mut hinzugekommen, mehr Kreativität. Es hat sich mit der Erfahrung gezeigt wie wichtig die Netzwerkkontakte sind. Dieses interdisziplinäre Arbeiten lebt von unterschiedlichsten Kontakten und da konnten wir uns im Laufe der Jahre sehr weiterentwickeln und nicht nur niedersachsenweit, sondern auch bundesweit gut unsere Kontakte aufbauen.
Schneeweiß: Frau Seidel, Sie sind schon seit 2013 dabei, immerhin acht Jahre. Merken Sie auch, dass sich Ihr Schaffen, Ihre Arbeit bei der LINGA, für die LINGA, mit der LINGA, verändert?
Seidel: Ich bin eingestiegen in die LINGA mit dem Schwerpunkt der technischen Assistenzsysteme. Nach meinem Studium und nach meiner Fortbildung zu Beraterin für generationengerechte Assistenzsysteme war ich viel in diesem Bereich unterwegs. Das erste Zitat, was meine Arbeit bei der LINGA geprägt hat, war: „Was für den Älteren unabdingbar ist, ist oft für die Jüngeren ein Mehr an Komfort und Service“. Wie diese generationengerechten Produkte und Projekte, die Frau Balzer schon genannt hat. Das war Schwerpunkt der ersten Jahre meiner Tätigkeit, dann war ich in Elternzeit und danach hat sich das geändert. Zum einen, weil dieser Schwerpunkt der Technik und der Gesundheit an andere Kollegen gegangen ist im Innovationszentrum, aber vor allem weil mein Schwerpunkt auf den LINGA Wochen lag, die ich am Anfang erstmal nur begleitet hatte und dann eben thematisch soweit organisiert und durchgeführt habe.
Schneeweiß: Die Initiative wird gefördert vom niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung und hat seit ihrer Gründung mehrfach den Träger gewechselt. Von der Wolfsburg AG über ein An-Institut an der TU Braunschweig bis zum Innovationszentrum Niedersachsen, wo sie heute angesiedelt ist. Hat der Wechsel dieser Träger Veränderungen gebracht in den Prioritäten, in der Ausrichtung, oder in der formalen Gestaltung der LINGA als Netzwerk oder Kontaktplattform?
Balzer: Ich würde sogar sagen, maßgeblich haben die Trägerwechsel unsere Arbeit und unsere thematische Ausrichtung mitgeprägt. Angefangen bei der Wolfsburg AG als Public Private Partnership der Stadt Wolfsburg und des VW Konzerns haben wir uns da natürlich aus der Wirtschaftsförderung heraus vor allem den Produkten und Dienstleistungen gewidmet und der Auftrag in dem Gründungsjahr war eigentlich, eine Produktdatenbank zu erstellen und Zielgruppe waren die Seniorinnen und Senioren selbst. Das heißt, als ich dann 2008 hinzukam, habe ich wirklich viel referiert. Wir haben viel ausgestellt, wir waren viel auf Messen und wir haben immer wieder versucht, diese Datenbank mit neuen innovativen Produkten zu befüllen. Dann war es schon so, dass Ende 2009 die neue Zielsetzung hinzukam: Ambient Assisted Living, assistive Technologien – übrigens für uns als Team eine große Herausforderung, wenn man bedenkt, dass man aus einem ganz anderen Feld kommt, soll man sich plötzlich der Technik zuwenden. Letztlich ist es aber auch nur Netzwerkarbeit. Als wir das erkannt haben, haben wir mit Leidenschaft dieses Thema bearbeitet und dafür sensibilisiert und bundesweit ein sehr großes Ambient Assisted Living Netzwerk initiiert. Mit dem Trägerwechsel zum An-Institut der TU Braunschweig ging einher, dass die politische Hausspitze sich eine Nähe zur Forschung gewünscht hatte und das konnten wir dort natürlich gut abbilden. Das heißt wir waren seitdem, und sind es seither immer wieder, Partner in Forschungsprojekten. Unsere Aufgabe ist es zu gucken welche passenden Ausschreibungen gibt es gerade auf Landes- oder Bundesebene und dementsprechend interdisziplinäre Forschungskonsortien zu bilden. Das ist unsere Stärke, das interdisziplinäre Arbeiten, das können wir da gut einbringen. Dann gab es nochmal, wieder durch den Projektträgerwechsel hin zum Innovationszentrum Niedersachsen, die strategische Nähe zur Landesregierung und das hat uns nochmal mehr Aufmerksamkeit beschert bei den unterschiedlichen Häusern. Wir arbeiten nicht nur mit dem Sozialministerium zusammen, sondern bedingt durch unsere Themen, wie zum Beispiel Tourismus, wie zum Beispiel Mobilität oder E-Health, Gesundheit, auch eng mit dem Wirtschaftsministerium. Da ist das Innovationszentrum für uns eigentlich der ideale Projektträger, um im Schulterschluss mit anderen Kollegen bei uns aus dem Haus, wie aus dem Bereich Bio RegioN, oder Mobilität, oder Digitalagentur zu kooperieren und gemeinsam ressortübergreifend unsere Themen voranzubringen.
Schneeweiß: Frau Seidel, aus ihrer Perspektive, welchen Rahmen bietet Ihnen das Innovationszentrum und die Landeshauptstadt Hannover, die Nähe zu Behörden und Ministerien für Ihre Arbeit für die LINGA?
Seidel: Das Innovationszentrum ist der niedersächsische Think Tank der Landesregierung. Das ist gut so. Es macht Spaß, im IZ zu arbeiten, weil man nah an Trends der Landesregierung ist, man kann schnell Trends aufgreifen, man kann sich mehr oder weniger ausprobieren in innovativen Formaten oder Veranstaltungsformaten. Man lernt viele Menschen kennen und das bringt die Arbeit im IZ mit sich und das ist gut so, das ist toll, das macht Spaß.
Schneeweiß: Eine und sogar DIE Kernaufgabe der LINGA ist ja, Partnerschaften und Netzwerke zu fördern. Sie sprechen gerne vom Brücken bauen in diesem Zusammenhang oder ihre Partner haben vom Dolmetschen gesprochen. Die Partner der LINGA stammen aus unterschiedlichen Bereichen; da sind zum Beispiel die Dienstleistungen Tourismus, Handel auch Forschung und natürlich die Politik, um nur einige zu nennen. Welche Brücken auf wirtschaftlicher, politischer oder gesellschaftlicher Ebene haben Sie so entstehen sehen oder haben sie mit initiiert und gab es da mal unerwartete Zusammenarbeiten, die sie eher überrascht haben oder die sie sich vorher nicht so vorgestellt hätten?
Balzer: Das hatte ich schon kurz angesprochen. Eine starke Brücke ist die zwischen dem Sozial- und dem Wirtschaftsministerium. In den letzten Jahren kam, verstärkt durch die Digitalisierungsstrategie der niedersächsischen Landesregierung, dieses Thema mit hinzu. Auch da konnten wir Brücken schlagen. Wenn wir auf einer großen TechTide-Konferenz eine Session machen, und dort geht es um das Thema „Ältere Menschen“ und „Digitalisierung“ und diese große TechTide-Konferenz wird eröffnet von Wirtschaftsminister Bernd Althusmann und er sagt, dass die Digitalisierung wichtig ist für uns in Niedersachsen, für uns als Gesellschaft und gerade für die älteren Menschen, dann ist man natürlich stolz und dann freut man sich.
Wir haben mittlerweile ein enges Verhältnis zum Digitalisierungsstaatssekretär Stefan Muhle und haben ihn verschiedentlich schon gemeinsam bei Veranstaltungen im Podium gehabt oder als Gesprächspartner mit dabeigehabt. Es ist schön zu wissen, dass wir sowohl im Sozialministerium als auch im Wirtschaftsministerium mittlerweile ein Standing haben. Beim Thema „Mobilität“ war das stark. Wir haben uns konzentriert auf die ländlichen Räume und generationengerechte Mobilitätsangebote. Dann hieß es vom Wirtschaftsministerium aus: Das ist ein Thema, das bearbeitet die LINGA. So ist das auch oft beim Sozialministerium: „Ach nee, das ist ja eigentlich ein Thema vom Wirtschaftsministerium, aber die LINGA die ist ja auch dabei, die hat ja die Älteren und die Barrierefreiheit im Blick.“ Das macht einen dann stolz und ich denke, das haben wir uns in den letzten Jahren aufbauen können.
Seidel: Wenn ich ans Brücken schlagen oder ans Dolmetschen denke, dann denke ich natürlich wieder an die LINGA Woche, da bringen wir eben verschiedene Disziplinen zusammen. Im Studium ist es oft so, dass die Designer unter sich sprechen oder die Sozialarbeiter oder die Gerontologen und niemand oder eher seltener hat man Kontakt zu anderen Disziplinen, im Rahmen des Studiums. Beim Projekt „LINGA Woche“ bringen wir eben die verschiedenen Disziplinen zusammen und dann müssen die teilweise lernen, sich zu dolmetschen oder ihre Sprache oder ihre Auffassung etwas anzupassen oder zu ändern oder sich gegenseitig zu verstehen. Ein Sozialarbeiter und ein Designer – die reden von den gleichen Dingen, aber sie sagen es ganz anders und das muss man erstmal so lernen.
Schneeweiß: Ich merke schon, wir müssen ganz dringend über die LINGA Woche sprechen. Ich schlage einen kleinen Bogen über Sie, Frau Seidel, denn für Sie ist das Interdisziplinäre eigentlich das Natürliche. Sie haben schon in Ihrem interdisziplinären Studium der Gesundheitswissenschaften und des Case Management Seite an Seite mit Informatikern gearbeitet. Sie haben einen Fokus auf technische Themen und Sie haben die LINGA Woche in diesem Jahr coronabedingt sogar als rein digitalen LINGA Hack ausgerichtet. Ist die Digitalisierung, die Frau Balzer ja gerade schon mehrfach angesprochen hat, derzeit noch eine Entwicklung, die den Lebensalltag der Jüngeren eher von den Älteren trennt, wenn wir so an die Nutzung von sozialen Medien denken, oder wird es schon spürbar, dass sie eigentlich eine Technik ist, die allen hilft?
Seidel: Die Digitalisierung ist ein Megatrend, der nicht mehr weg geht. Wir haben in den vergangenen Jahren viel zu dem Thema, also viele Projekte zum Thema, durchgeführt. Wir haben in den vergangenen Jahren gelernt oder gesehen, auch im Rahmen der Corona Pandemie, dass sich auch Ältere mit dem Thema beschäftigen. Es ist nicht mehr wegzudenken, es ist wichtig, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Natürlich wachsen Jüngere jetzt von Anfang an damit auf, aber eine reine oder strikte Trennung findet meiner Meinung nach nicht mehr statt. Hat sie sicherlich vor einigen Jahren noch, aber mittlerweile können digitale Technologien die Generationen verbinden.
Schneeweiß: Wo sehen Sie das größte Potential für die Digitalisierung im Hinblick auf die ältere Generation oder die Verbindung zwischen jüngerer und älterer Generation?
Seidel: In der Kommunikation. Also in den Medien bezüglich der Kommunikation oder auf Kommunikationsebene. Im Rahmen dieser Coronapandemie war es wichtig für Ältere, mit den Jüngeren in Kontakt zu treten und das war eine lange Zeit nicht möglich. Also musste man sich gezwungenermaßen damit auseinandersetzen, wenn man es wollte. Aber das hat funktioniert. Die Coronapandemie war für viele Ältere ein Katalysator hinsichtlich der Digitalisierung, auch für uns. Was sich allein im Arbeitsleben verändert hat, das ist ja der Wahnsinn.
Schneeweiß: Und bei den Älteren, um in Kontakt zu bleiben oder für die Kommunikation, heißt es dann die springen auf die gleichen Messenger oder Methoden, die die Jüngeren schon länger nutzen, oder entwickeln sich da neue generationenübergreifende Technologien?
Seidel: Ich denke, es entwickeln sich auch neue Technologien bezüglich Apps. Die Jüngeren mögen andere Sachen nutzen, aber ich denke, für den Austausch mit Älteren oder mit anderen Generationen, es kann ja auch mit den Eltern oder ähnliches sein, da wurden eben in den vergangenen Jahren oder Monaten viele neue Dinge gefunden, um eine Kommunikation zu ermöglichen. Es ist eine schöne Sache, das zu sehen.
Balzer: Wobei es immer noch Nachholbedarf gibt, gerade bei den Hochaltrigen. Den sogenannten Offlinern, die kein Smartphone haben, keinen Computer. Angefangen beim Impftermin zum Beispiel, wo es hieß, sie können sich ein Link runterladen oder QR Code einscannen. Das kann ich nicht, wenn ich kein Smartphone bedienen kann. Auch da haben sich wunderschöne generationenübergreifend Projekte entwickelt. Also, dass freiwillig Studierende oder Schüler ihren Großeltern oder den Seniorenbeiräten vor Ort dann diese Technik näherbringen und da Hilfestellung leisten. Die Technik kann die Generationen dort verbinden und man kann im Austausch viel voneinander lernen. Also die Jüngeren können von den Älteren lernen, dass man nicht 24/7 online sein muss und immer das Handy irgendwie parat haben, sondern ein bisschen mehr Geduld und mal ein bisschen mehr Müßiggang und Offline-Zeiten einbringen und trotzdem geht das Leben weiter. Ich glaube, die Älteren können vor allem von den Jüngeren lernen, mutig intuitiv diese Dinge zu benutzen. Ich kann nichts kaputt machen, also einfach mal ausprobieren, dass ich mich traue auf das Touchscreens zu drücken und ich kann da nichts kaputt machen. In diesem Austausch können die Generationen viel voneinander lernen. Aber wir müssen die vielen Offliner mit in die digitale Welt nehmen. Dafür hatten wir vor allem in den letzten zwei Jahren unterschiedlichste Veranstaltungen gemacht, um genau dafür zu sensibilisieren, die Online-Kompetenz bei Seniorinnen und Senioren im Hinblick auf Vereine zu stärken. Für uns könnten Vereine so ein Raum sein, wo genau diese Technik ausprobiert werden kann. Mein Verein, wo ich im Ehrenamt als älterer Mensch schon länger tätig bin, da vertraue ich den anderen Mitgliedern. Man kennt sich untereinander und da gibt man sich keine Blöße, wenn man sagt: „Du, ich habe jetzt ein neues Smartphone. Ich weiß gar nicht mit umzugehen. Können wir uns dann nicht mal zusammensetzen?“
Schneeweiß: Ich finde das einen sehr interessanten Aspekt. Sie haben auch das gegenseitige Lernen voneinander angesprochen und doch scheint der technische Weg im Moment, so klingt es gerade für mich, korrigieren sie mich, wenn ich das jetzt falsch wiedergebe, Digitalisierung für alle heißt: erstmal müsste jeder, also jeder Offliner, auch ein Smartphone haben und das bedienen können. Gibt es andere von der technischen Seite, oder aber von der Technik gedacht, Strategien, wieder alle unter einen Hut zu bringen?
Balzer: Es gibt zum Beispiel das tolle Projekt Machbarschaft, was wir mit aufgegriffen haben im letzten Jahr aus dem großen Wir.versus.Virus-Hackathon der Bundesregierung. Da ist dieses sozial-innovative Projekt raus gepurzelt und dort haben wir entsprechend unseres Auftrags dieses Team mit potenziellen Umsetzungspartnern in Niedersachsen zusammengebracht. Dann gebe ich mal an meine Kollegin Sina ab, weil sie das Projekt nämlich mit betreut. Wir haben dafür gesorgt, dass das jetzt in Niedersachsen pilotisiert werden kann.
Schneeweiß: Frau Seidel, erzählen sie uns zum Anfang nochmal kurz, worum es geht.
Seidel: Das Projekt nimmt genau dieses Problem auf, dass es auch Offliner gibt und definitiv nicht alle Älteren über ein Smartphone verfügen oder über diese Onlinekompetenz. Das Projekt hat eine App entwickelt, die mit einem Telefonbot verbunden ist und man hat eine Festnetznummer, die man anrufen kann, wenn man eben nicht über ein Smartphone verfügt. Dann sagt man dieser telefonischen Stimme, dieser Computerstimme, was man will, was man braucht, welche Hilfe man benötigt und das wird dann wieder an eine App weitergeleitet und diese gibt es dann an ehrenamtliche Helfer weiter, also diesen Aufruf. Die analogen werden mit den digitalen Helfern verbunden. Das ist die Idee hinter diesem Projekt und jetzt wurde über ein Jahr lang an dieser App und an diesem ganzen System dahinter gearbeitet und ein erstes Pilotprojekt soll jetzt im Landkreis Leer stattfinden und dann idealerweise auf ganz Niedersachsen ausgeweitet werden. Der Träger dieses Projektes oder dieses Vereins Machbarschaft e.V. in Niedersachsen wird der Verband für Wohneigentum werden und einige andere Partner sind mitbeteiligt. Wir sind auch mit dabei. Der Landkreis Leer hat da Interesse geäußert und die werden das mal austesten.
Schneeweiß: Leer ist gerade ein gutes Beispiel für einen ländlichen Raum, in dem solche Strategien besonders wichtig sind, oder?
Seidel: Genau.
Schneeweiß: Frau Seidel, jetzt haben wir schon einiges von Ihnen gehört. Sie sind studierte Gesundheitswissenschaftlerin und Case Managerin mit Schwerpunkt Gesundheit und Pflege und da deutet sich das ja an. Woher kam bei ihnen das Interesse an der Arbeit mit und für die ältere Generation?
Seidel: Das Interesse an der Arbeit mit der älteren Bevölkerung war ja gar nicht von Grund auf da. Also, meine Studiengänge bezogen sich auf alle Generationen. Man kann mit allen Generationen egal ob Kinder, ob Jugendliche, ob Ältere, die arbeitende Bevölkerung irgendetwas machen in diesen Bereichen, die ich studiert habe. Das Interesse an der Arbeit kam erst (in Anführungszeichen) mit der LINGA auf, denn der Name generationengerechte Alltag hat mich letztlich fasziniert. Vorher hatte ich mich noch nicht mit dem Begriff beschäftigt. Aber es ist logisch, dass jedes Projekt, jedes Produkt generationengerecht sein sollte. Da habe ich vorher noch gar nicht so drüber nachgedacht. Das kam im Rahmen der Arbeit oder meiner Recherchen mit auf und das hat sich letztlich als das Richtig herausgestellt und es sollte und muss immer ein Ziel sein, egal für was.
Schneeweiß: Vorhin sind wir schon ein bisschen darum herum gekreist, eines Ihrer, wenn nicht Ihr Lieblingsprojekt, Frau Seidel, ist die LINGA Woche. Da arbeiten Sie mit wissenschaftlichem Nachwuchs, der Technik und Designs für Ältere entwickelt. Das verkörpert das Thema „Von den Jungen für die Alten“. Welche Erfahrung haben Sie im Umgang mit den Studierenden da, mit deren Haltung, gegenüber den Älteren gemacht?
Seidel: Also die LINGA Woche ist mein Herzensprojekt, das begleite ich von Anfang an. Es macht Spaß, auch wenn es stressig ist, das Ganze zu planen, durchzuführen und zu begleiten. Ich denke, dass es wichtig ist, dass man den Jüngeren vermitteln sollte, dass sie an die Älteren denken. Das wird im Studium nicht immer so kommuniziert. Es ist schön und gut, wenn man als Designer oder Informatiker irgendwas Tolles entwickelt. Aber wenn man dann an die ältere Bevölkerung denkt und die mitdenkt und an die Probleme oder Herausforderungen denkt oder an die Bedarfe, dann ist das eine tolle Sache und damit werden die Studenten teilweise erst das erste Mal in der LINGA Woche befähigt.
Schneeweiß: Das klingt ein bisschen so, als wenn die Studierenden, die jungen Studierenden, die da reinkommen, erstmal einen technischen Fokus haben und denken: „Oh, das ist eine Herausforderung für mich auf der Ebene.“ Haben Sie das Gefühl, dass die Studierenden da durch diese Begegnung mit den, wie Sie gesagt haben, Bedarfen der Älteren, auch auf persönlicher Ebene dazulernen?
Seidel: Dazulernen sicherlich. Aber die sind nicht nur aus dem technischen Bereich. Wir haben Gerontologen, wir haben Sozialarbeiter, wir haben Architekten, wir haben Informatiker, Designer. Die sind sehr interdisziplinär aufgestellt und durch diese Arbeit im interdisziplinären Team kommen sie schon mit anderen Disziplinen zusammen und lernen da schon. Wenn sie sich mit den Bedarfen und Herausforderungen einer älteren Gesellschaft auseinandersetzen, dann kann da ganz viel entstehen und das ist toll zu sehen, was meinst du Delia?
Balzer: Ich glaube das Tolle ist, dass, wir haben es immer genannt das LINGA Wochen Fieber, grassiert und das steckt alle an. Nicht nur die Studierenden, sondern auch die beteiligten Hochschulprofessoren, die wissenschaftlichen Mitarbeiter und die regionalen Partner mit denen wir jährlich zusammenarbeiten. Es steckt an und ich glaube, den größten Mehrwert, den die Studierenden unter anderem neben dem interdisziplinären Arbeiten dort haben, ist, dass sie plötzlich einen praktischen Bezug haben, einen lebenspraktischen Bezug. Und fast jeder dort hat eigene Großeltern oder Nachbarn, die älter sind. Also das heißt: jeder, unabhängig vom Studiengang, kann sich durchaus vorstellen, wie ist der praktische Bezug. Und ich kann mit meinem Wissen, was ich mir jetzt schon in vier Semestern, in fünf Semestern oder erst in zwei Semestern angeeignet habe, ich kann einen Beitrag dazu leisten. Indem die Teams interdisziplinär in einem Ideen Wettbewerb gegeneinander antreten, überflügeln die sich regelrecht. Und das Tolle ist, dass die am Anfang direkt mit den sogenannten Problem-Ownern, den Herausforderungsgebern, zusammenkommen. Also mit den Seniorinnen und Senioren und die tauschen sich aus, interviewen die und sagen: „Wo habt ihr wirklich Probleme, was können wir für euch tun?“ Und dann entwickeln sie den ersten Prototypen. Dann werden die Senioren nochmal gefragt: „Was würdet ihr denn davon halten?“ Und manchmal landet das dann im Papierkorb und dann entsteht oft eine Diskussion im Gespräch. Wir hatten schon seltsame Szenen bei der LINGA Woche. Unter anderem, dass die Studierenden, die Teams, sich mit ihren Senioren eingeschlossen haben, weil sie heimlich an der Idee weiter feilen wollten und die anderen Gruppen, die sollten das nicht unbedingt mithören. Das kommt bei den Seniorinnen und Senioren natürlich unheimlich gut an, das plötzliche Gehör finden bei jungen Wissenschaftlern für ihre Themen, für ihre Probleme, für ihre Herausforderung. Da profitieren alle Seiten davon und wie gesagt, das LINGA Wochen Fieber, das greift um sich und wir haben es auch in diesem Jahr digital festgestellt. Auch digital war es nicht nur ein Strohfeuer, sondern da ist der Funke übergesprungen und es sind tolle Idee rausgepurzelt.
Seidel: Die Studierenden lernen durch ihre praktischen Erfahrungen und durch die ehemaligen Exkursionen. Am Exkursionstag werden die Studenten beauftragt, zu Exkursions- oder Interviewpartnern passend zum Thema zu fahren. An manchen Wochen oder in manchen Jahren haben wir das so organisiert, dass die dahingefahren sind, und dann wurden die da interviewt und dann haben die Unternehmen selbst von ihren Erfahrungen oder Problemen berichtet. Aber 2015 hatten wir die LINGA Woche im Landkreis Leer zum „Thema Mobilität in ländlichen Räumen“ und da wurden die Studierenden dann beauftragt, zum Standort x oder y zu fahren und selbst die Probleme mit dem ÖPNV kennen zu lernen. Die haben keinen Fahrplan von uns vorgefunden, sondern die mussten selbst eben schauen: „Ok, wann fährt der nächste Bus? Okay, jetzt muss ich eine Stunde warten. Was mache ich denn so lange? Wie kann ich denn pünktlich vor Ort sein?“ Das war, glaube ich, eine sehr gute Erfahrung, dass sie das gemacht haben
Balzer: Wir lernen eigentlich jedes Jahr dazu. Unvergesslich ist die LINGA Woche in Cuxhaven wo ein studentisches Team mal beim Oberbürgermeister angeklopft hat. Der hat sich sogar noch Zeit genommen und die haben dann mal eben den Oberbürgermeister interviewt und das fanden wir natürlich eine grandiose Sache. Das war toll und was die Studierenden auch gemacht haben, obwohl es gar nicht in der Aufgabenstellung stand, dass sie sich selber ältere Interviewpartner gesucht haben. Die sind dann durch die Fußgängerzone und haben ältere Menschen befragt oder haben sich ans Telefon geschwungen und haben die eigenen Großeltern noch interviewt und das ist toll zu sehen, wenn so die Früchte der eigenen Arbeit aufgehen.
Schneeweiß: Bleiben wir noch ein kleines bisschen bei diesem Themenkomplex „Austausch“ zwischen den Jüngeren und den Älteren. Die LINGA arbeitet auch mit niedersächsischen Startups und diese Zusammenarbeit soll künftig weiter ausgebaut werden. Welche Bedeutung haben denn Startups und wie sieht so das Miteinander der Jüngeren und der Älteren auf diesem Gebiet aus?
Balzer: Ja, die niedersächsischen Startups haben die Zielgruppe mittlerweile schon für sich entdeckt und auch das Wirtschaftsministerium hat die Relevanz der sozialen Innovationen erkannt. Der niedersächsische Durchstarter Preis für die Startup-Szene hat in diesem Jahr eine eigene Kategorie gehabt, nämlich soziale Innovationen, und dort fast die meisten Einreichungen gehabt. Das zeigt allein schon die Relevanz der sozialen Innovation heutzutage in unserer Gesellschaft. Wir sensibilisieren schon seit Jahren dafür, dass die junge Startup-Szene sich diesem Themenkomplex widmen kann oder widmen sollte. Dort haben wir unter anderem, wenn wir auf Veranstaltungen Startups mit der Zielgruppe zusammenbringen, sogenannte Fokusgruppen gehabt. Also wir haben ältere Menschen, die auch gerne diskutieren, mit in die Runde gebracht und die haben sich dann die ersten Produkte der Startups mal zur Hand genommen und haben ihr Feedback gegeben. In der Diskussion kam dann raus: „Oh wir müssen unser Produkt dahingehend noch etwas abwandeln oder wir müssen eine ganz neue Sparte aufmachen.“ Also der Austausch ist da wertvoll. Wer in den letzten Jahren stark hinzugekommen ist, ist der Bereich „Design“ bei der Ausbildung, also die Methode des Design Thinking als ein Entwicklungsmet hode und wie man denn zu einem Produkt kommt. Die hat schon früh den Austausch der Zielgruppe mit im Blick und da haben wir in der Vergangenheit schon zusammengearbeitet. Ich erinnere mich an die Altenpflegemesse, da hatten wir junge Studierende der Hochschule Hannover vom Fachbereich Design mit älteren Menschen aus Hamburg zusammengebracht vom Verein „Wege aus der Einsamkeit“. Dagmar Hirche als Vorsitzende ist da eine sehr umtriebige Seniorin und hat schon viele Preise eingeheimst und die ist mit so einem Stoßtrupp von Seniorinnen und Senioren nach Hannover gekommen. Die haben sich direkt mit den Studierenden ausgetauscht und das war wie eine kleine LINGA Woche im Kurzformat. Das war toll und da sprudelten schon die Ideen. Schön war das vor allem auf der Seite der Studierenden, also wirklich der jüngeren Menschen, da eine Dankbarkeit vorhanden ist. Dankbarkeit für die Zeit, die sich die Seniorinnen und Senioren genommen haben für ihre Themen und das kann man übertragen auf die Startup-Szene. Wir haben vor vier Jahren das Social Innovation Center in der Region Hannover initiiert und das ist ein Ort, wo soziale Innovationen im Hafven in Hannover weiterentwickelt werden können und dort findet immer ein Miteinander der Generationen statt und ein Austausch.
Schneeweiß: Gibt es dafür ein Format? Gibt es ein Format für dieses gezielte In-Dialog-Bringen von Startups mit Ideen im Bereich der sozialen Innovationen und der entsprechenden Zielgruppe oder finden die sich von alleine?
Balzer: Das Format heißt LINGA. Sprich, da sind wir dann wieder die Brückenbauer. Entweder initiieren wir selber mal Veranstaltungen, oder wir werden halt gefragt, oder wir können Referierende beisteuern, die dann dementsprechend wieder sensibilisieren und dort einen Mehrwert darstellen. Wie Sina vorhin schon gesagt hat, wir sind ein Think Tank in dem Bereich generationengerechter Alltag.
Schneeweiß: Ihr Kollege am Innovationszentrum, Christian Kotschy, hat Sie schon mal Frau LINGA genannt und Sie erzählen gerne selber vom bunten Themen-Spektrum und Ihrer längeren Geschichte inzwischen mit der LINGA. Manchmal kriegt man fast den Eindruck, das ist wie dieser Elefant im dunklen Raum. Jeder Partner sieht einen Teil der LINGA, aber nur Sie kennen das ganze große Tier und lenken quasi seine Geschicke und dabei haben Sie Themen in einer großen Vielfalt, wie sie selber gesagt haben, vom Wohnen über das Einkaufen und Mobilität, das Ambient Assisted Living bis hin zu sozialen Innovationen und der Digitalisierung mit all ihren Facetten beackert. Sie haben Initiativen, Projekte entstehen sehen und oft bis zum Ende begleitet. Was reizt sie bis heute an dieser vielfältigen Tätigkeit?
Balzer: Ich musste eben schmunzeln, ich habe mich in Bezug auf LINGA noch nie als indische Maharadscha auf einem Elefanten reiten sehen, aber ich glaube, so ein Auftritt könnte mir gefallen. Nein, genau diese Themenvielfalt reizt mich, weil ich manchmal auch ein bisschen despektierlich von mir spreche, wenn ich sage: „Ich bin eine Rampensau.“ Ich stehe sehr gerne auf der Bühne, privat spiele ich Theater, ich singe auch. Ich fühl mich da sehr wohl und ich glaube, dieser Funke springt über. Ich begeistere Leute sehr gerne und ich finde, unsere Themen sollten die Menschen begeistern, weil letztlich möchten wir alle älter werden und wir möchten alle gut alt werden, so lange wie möglich selbstständig bei guter Lebensqualität zu Hause wohnen bleiben und insofern ist das der beste Job, den man sich denken kann, dass man jetzt schon für die eigene Zukunft etwas initiieren kann, sich etwas ausdenken kann, etwas auf den Weg bringen kann. Insofern begeistert mich das immer wieder und ich glaube, ich habe viele Talente und da kommt mir die LINGA sehr entgegen mit diesen vielfältigen Themen. Also sei´s Tourismus oder Mobilität oder assistive Technologien. Also Querbeet und jetzt auch neu mit den Startups. Ich bin Vollblut-Netzwerkerin durch und durch. Manchmal sag ich dann: „Oh, wenn mir der Name nicht einfällt, jetzt schlägt schon die Netzwerk-Demenz zu bei den vielen Gesichtern und Institutionen.“ Aber letztlich fällt es mir doch immer wieder ein. Das heißt: Ich bin so ein bisschen die Spinne im Netz, dann verbinde ich gerne Institutionen und ich glaube, das macht für mich die Arbeit bei der LINGA so aus, so spannend und natürlich auch die Zusammenarbeit im Team nicht nur mit Sina Seidel in unserem kleinen LINGA Team, sondern auch darüber hinaus hier im Innovationszentrum mit unterschiedlichsten Kollegen. Da tauschen wir uns zu unterschiedlichsten Themen aus und in der Vergangenheit hatte ich natürlich, schon vor Frau Seidel, andere Teammitglieder, die immer wieder die Zusammenarbeit bereichert haben. Das ist schön, wenn man dann abends kaputt, aber doch ganz glücklich nach Hause kommt, das ist gut.
Schneeweiß: LINGA macht zufrieden
Balzer: Ja, das kann man so stehen lassen.
Schneeweiß: Heute sind Sie, das dürfen wir glaube ich verraten, 52 Jahre jung oder alt und im Gespräch haben Sie mir mal anvertraut, dass Sie sich der Zielgruppe der LINGA selber langsam näherkommen sehen. Was bedeutet dieses Gefühl für Ihre berufliche Tätigkeit?
Balzer: Das bedeutet vor allem, dass ich mich so langsam anfreunden muss mit dem Bild des Alters, dass wir in unserer Gesellschaft haben, dass ich noch sensibler damit umgehe und Fallstricke sehe, die die Seniorinnen und Senioren entdecken, wenn zum Beispiel zu viele Anglizismen verwendet werden. Im Alltag stolpere ich mittlerweile schon drüber, im beruflichen Kontext. Wenn Kolleginnen und Kollegen fast alles auf Englisch sagen und ich gar nicht weiß, um was es da jetzt so richtig geht. Also ich kann schon Englisch, aber die LINGA ist ja nun mal in Niedersachsen tätig. Das ist jetzt nicht mein Hauptschwerpunkt und ich denk dann jedes Mal: „Mein Gott, das geht doch auch auf Deutsch.“ Früher, also ich sag mal in den Anfängen der LINGA vor 13 Jahren bei mir, da sind die Seniorinnen und Senioren drüber gestolpert und mittlerweile stolpere ich schon selber drüber. Und ich merke natürlich schon mit 52 das ein oder andere, was nicht mehr so gut funktioniert. Als wir vorhin den Sound-Check hatten mit unseren Mikros, musste ich feststellen: „Oh ich war doch neulich beim Ohrenarzt, weil auf dem einen Ohr höre ich nicht mehr so gut.“ Es geht halt schon langsam los. Da fühlt man sich doch der älteren Generation langsam ein bisschen näher und man ist sensibilisiert fürs Altersbild. Das heißt: Ich möchte nicht mit der Gruppe Ü50 in einen Topf geworfen werden. Das wäre genauso unsinnig, als würde man sagen U50. Niemand würde auf die Idee kommen, von Null bis 50 alle Menschen in eine Zielgruppe zu packen. Warum macht man das bei den Älteren? Es macht keinen Sinn und je näher ich mich der eigenen Zielgruppe nähere, desto mehr bin ich dafür sensibel und denke, es sind mehrere Generationen innerhalb der Gruppe Ü50. Da sind die 50-65-Jährigen, noch voll im Beruf tätig, mit Kindern zu Hause, oder in den Patchworkfamilien mittlerweile und schon die älteren pflegebedürftigen Eltern zuhause. Und dann hat man die nachberufliche Phase, wo man aber nochmal richtig Gas geben kann, weil gesundheitlich geht es einem da ganz gut. Dann kommt aber die Phase 70-75, in der man sich erst mit dem Seniorenalter identifiziert. Das heißt also, vor 75/70 macht es gar keinen Sinn ein Produkt für Senioren bewerben zu wollen, wenn man die Gruppe untendrunter eigentlich ansprechen möchte, die Jüngeren. Da muss man sensibel schauen, wer ist meine Zielgruppe und geht es nicht um das Produkt an sich. Geht’s nicht um die Handhabung und die Idee, die hinter dem Produkt steht, mal ganz abgesehen davon, wie alt der Nutzer ist oder die Nutzerin.
Schneeweiß: Ich frag mich gerade, warum uns das als Gesellschaft eigentlich so fehlt: ein differenziertes Bild der älteren Generationen, wie Sie jetzt sehr schön gesagt haben. Aus der Welt der Kinder, mit der ich mich tagtäglich ein bisschen beschäftige, kennen wir ja, dass auf den Büchern steht, das ist ab zwei bis drei. Dieses Spielzeug ist ab drei geeignet, von fünf bis sieben. Also da haben wir einen sehr fein differenziertes Bild. Warum fehlt uns das eigentlich so bei den Älteren? Haben wir die aus dem Blick verloren, oder waren die nie so richtig im Blick?
Balzer: Es hat sich in den letzten Jahren auch da was geändert. Es gibt gerade vom Bundesfamilienministerium die Kampagne Altersbilder, die sich genau diesem Thema gewidmet hat. Auch die Altersberichtskommission der Bundesregierung, die alle drei Jahre einen Altersbericht herausgibt. Der Aktuelle zum Thema „Digitalisierung und älterer Menschen“. Die haben sich schon um diese Altersbilder und die Wahrnehmung des Alters in der Gesellschaft gekümmert. Es hat sich schon was verändert. Es hat sich vor allem, ich glaube, das haben sie auch schon gemerkt, in der Werbung geändert. Früher waren die Altersbilder in der Werbung noch viel stigmatisierender, allein von den Motiven her, die man benutzt hat. Da hat sich schon was getan und trotzdem, das merken wir bei der LINGA Woche, müssen wir auch da immer wieder ganz sensibel darauf hinweisen, weil dann die studentischen Teams sagen: „Wir haben jetzt hier für Omi und Opa was entwickelt.“ Wo ich dann denke: „Ich selber habe keine Kinder, also das heißt, ich per se werde niemals Omi sein. Warum sollte ich mich angesprochen fühlen, wenn jemand sagt, das ist für Omi, nur weil ich per se in dem Alter bin?“ Auch da muss man immer wieder sensibel draufschauen.
Seidel: Aber die Sichtweisen auf die Älteren bezüglich des Alters ändern sich. Also mit 20 habe ich noch gedacht: „Okay, die 60-Jährigen, das sind die komplett Alten.“ Aber das ist nicht so. Das ändert sich, je älter man wird. Heute sind die 60-Jährigen, auf die Grenze gehen meine Eltern gerade ganz stark zu, noch nicht alt, das würde ich jetzt nicht mehr so sagen. Jetzt sehe ich halt eine andere Altersgrenze als alt an, wenn man das so betiteln möchte. Das ändert sich im Laufe der Jahre.
Schneeweiß: Jetzt haben Sie beide Ihre individuelle oder die individuelle Wahrnehmung von Personen beschrieben. Frau Balzer, Sie haben das ein bisschen angesprochen, indem sie sagten die Werbung hat sich sehr verändert. Nehmen sie Veränderungen auf gesellschaftlicher Ebene wahr in einer Haltung gegenüber den Älteren oder der Wahrnehmung der Älteren?
Balzer: Da kann ich noch ein gutes Beispiel anbringen. Und zwar haben wir ja bis Ende 2014 das Qualitätsabzeichen generationenfreundliches Einkaufen begleitet, in Niedersachsen und auf Bundesebene. Wir haben dafür mehrere hundert ehrenamtliche Seniorentesterinnen und Seniorentester hier in Niedersachsen ausgebildet, die Einzelhandelsgeschäfte nach festgesetzten Kriterien hinsichtlich der Generationenfreundlichkeit überprüft haben. Dort hatten wir eine sehr engagierte Truppe oben in Ganderkesee und die haben uns als Feedback gegeben, dass sie gesagt haben: „Ach Frau Balzer, wir sind so dankbar für dieses Projekt, weil wir plötzlich in unserer Gemeinde auch für unsere anderen Themen Gehör finden. Also, wir sind schon lange engagiert aktiv als Seniorenbeirat, aber es war immer sehr mühsam. Ach, dann kam nochmal der Seniorenbeirat und im schlimmsten Fall kosten die nur. Und Pflege und ältere Menschen und mühsam und so weiter.“ Es waren sehr stigmatisierende Altersbilder und sie sind plötzlich mit einem Wirtschaftsthema gekommen, mit einem generationenübergreifenden Thema, dass sie nämlich Einzelhandelsgeschäfte überprüft haben. Und was den Älteren nutzt, nutzt auch den Jüngeren. Da haben alle Generationen von profitiert und plötzlich, auch über den Einzelhandelsverband und über das regionale Marketing, haben sie für ihre anderen Themen Gehör gefunden. Die Politik wurde plötzlich aufmerksam. Das zeigt, glaube ich, gut, was sich dann bei uns in der Gesellschaft, aber auch in der Politik, geändert hat, auch da abschließend wieder in Richtung Digitalisierung. Man denkt jetzt die älteren Menschen mit. Ich behaupte mal, wenn wir diese Digitalisierung mit dem Altersbild von vor 15 Jahren gehabt hätten, dann hätte man die Alten vergessen. Ja, die hätte man halt nicht mitgedacht und jetzt werden sie aber mitgedacht und es ist wichtig alle mitzunehmen und man möchte die ältere Generation selber hören. Also finden sie mittlerweile Gehör. Da hat sich schon was geändert.
Schneeweiß: Verstärkt sogar durch die Kombination von Digitalisierung und Corona, wo die Alten eben mitgedacht werden mussten.
Balzer: Absolut, und ich sag mal im Lockdown, was da in den Alten- und Pflegeheim passiert ist, das war menschenunwürdig. Das muss man wirklich sagen, wenn Menschen ohne Zuspruch alleine sterben müssen, weil niemand dort auf die Station darf, dann ist das des Menschen unwürdig. Das muss man so sagen und das, glaube ich, weiß die Politik und da sind viele Fehler gemacht worden und das gilt es in Zukunft absolut zu vermeiden und zu verhindern. Insofern hat Corona uns nicht nur Schlechtes gebracht, glaube ich. Wie durch ein Brennglas haben wir durch diese Corona-Pandemie gemerkt, wie essentiell wichtig es ist, bei der Digitalisierung alle, wirklich alle Generationen mitzunehmen. Wir haben uns mit draufgesetzt, muss man sagen, und haben dann eben eine große Konferenz abgehalten und hatten auch immer andere digitale Veranstaltungen, gesendet bei uns aus dem Wohnzimmer, das war plötzlich möglich. Das war für uns erstmal als Team eine Herausforderung, nicht mehr auf der Bühne zu stehen und nicht mehr zu moderieren, sondern plötzlich ging das nur noch vom PC aber das geht.
Schneeweiß:15 Jahre LINGA, Sie haben viele Herausforderungen gemeistert. Was ist ihr Ziel Frau Seidel fangen wir mit Ihnen an?
Seidel: Ja, das hängt natürlich von der niedersächsischen Landesregierung ab. Eine Strategie für die LINGA natürlich. Ich hoffe persönlich, dass die LINGA Wochen weitergehen, das es auch in den nächsten Jahren so stattfinden wird und dass wir einen Schwerpunkt immer wieder setzen oder es hinbekommen für unsere Themen weiterhin zu sensibilisieren, mit dem Hintergrund der Digitalisierung und dass wir den generationengerechten Alltag noch weiter fokussieren so wie wir es bisher schon getan haben, aber dass das eben noch weiter passiert.
Schneeweiß: Frau Balzer?
Balzer: Also wenn Sie mich fragen, die nächsten 15 Jahre dann wäre ich 67, dann würde ich mich ehrenamtlich als Fokusgruppenmitglied als Seniorin noch bei der LINGA engagieren und würde dann selber den jungen Startups Feedback geben zu ihren Produkten und Dienstleistungen. Also ich glaube, ich würde mich da sehr lebendig und engagiert einbringen.
Schneeweiß: Dieser Dialog ist ihnen wichtig?
Balzer: Genau, genauso wie die Kreativität. Ich wünsche mir, dass ich meine Kreativität noch weiterhin bei der LINGA einbringen kann und dass die Landesregierung die Wichtigkeit des Themas erkennt und bewahrt, so dass wir in den nächsten Jahren noch einiges umsetzen können, hier in Niedersachsen, und zwar aus dem Innovationszentrum heraus mit dem Oberthema „soziale Innovationen“, im Schulterschluss mit den Kolleginnen und Kollegen hier aus dem Hause. Denn da haben wir gemeinsam mehr Strahlkraft und das macht die Arbeit so unheimlich spannend, dass diese neuen Impulse hinzukommen. Letztlich haben wir das Hauptaugenmerk auf die älteren Menschen in Niedersachsen und um deren Alltag generationengerechter zu gestalten. Da fällt mir noch das ein oder andere ein, was wir in den nächsten Jahren gemeinsam umsetzen können.
Schneeweiß: Dann bedanke ich mich herzlich bei Ihnen beiden für dieses lebhafte Gespräch aus Anlass des Jubiläums der Landesinitiative Niedersachsen generationengerechter Alltag LINGA und verabschiede mich von unseren Zuhörern in diesem Podcast.
Seidel & Balzer: Vielen Dank. Vielen Dank auch
(Bild: tianya1223/pixabay)