Wir verstehen immer besser, was im Körper bei einer Erkrankung geschieht. Gleichzeitig wachsen die technischen Möglichkeiten, unser Verhalten und die Reaktionen unseres Körpers darauf zu beobachten. Beides hilft uns, ein langes, gesundes Leben zu führen.

Das Coronavirus hat es uns wieder deutlich vor Augen geführt: Eine Krankheit hat kein einheitliches Erscheinungsbild. Die sogenannten Kinderkrankheiten verlaufen meist mild, können Erwachsenen aber schwer zusetzen. Ein Diabetes kann lange unbemerkt bleiben oder den Stoffwechsel kurzfristig völlig entgleisen lassen. Krankheitsverläufe können so unterschiedlich ausgeprägt sein, wie die Menschen, die sie betreffen. Denn wir unterscheiden uns – in unserer genetischen Ausstattung, unserem Lebensstil und -umfeld, unserem Alter, um nur einige Faktoren zu nennen. Sie beeinflussen, wie unser Stoffwechsel funktioniert, unsere Immunabwehr- oder das Herz-Kreislauf-System.

So individuell wie wir als Menschen sind, sollte also auch die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen aussehen. Vorreiter in der personalisierten Diagnostik und Therapie ist die Krebsmedizin. Heute werden viele Krebserkrankungen nicht mehr primär danach behandelt, in welchem Organ sie auftreten. Stattdessen werden die Krebszellen detailliert charakterisiert, die sich bei einer erkrankten Person unkontrolliert vermehren: Welche Signale senden sie in den Körper und auf welche reagieren sie? Die daran angepasste – man könnte sagen: maßgefertigte – Therapie ist wesentlich schonender für den Körper als herkömmliche Chemo- oder Strahlenbehandlung.

Technik macht’s möglich

Technische Fortschritte machen zunehmend individuelle Ausprägungen in Diagnostik und Therapie möglich. Dauerte es noch ein Jahrzehnt, das erste menschliche Genom zu entziffern, geschieht das heute vieltausendfach in Laboren rund um die Welt. Und auch darin, die Buchstabenabfolgen des Erbguts im Sinn der Medizin zu interpretieren, sind wir immer besser geworden – nicht zuletzt dank computergestützter Rechenverfahren. Zudem untersuchen Wissenschaftler/-innen und Mediziner/-innen inzwischen neben dem Erbgut auch verschiedenste Moleküle, die unser Stoffwechsel hervorbringt, die unsere Zellen und Körperstrukturen aufbauen oder die unser Immunsystem prägen. Das eröffnet vielfältige Möglichkeiten, Menschen und ihre Reaktionen auf Krankheiten sehr fein zu unterscheiden.

Pipette gibt Flüssigkeit in Laborröhrchen
„Dauerte es noch ein Jahrzehnt, das erste menschliche Genom zu entziffern, geschieht das heute vieltausendfach in Laboren rund um die Welt.“ (Bild: Louis Reed/Unsplash)

Individuelle Vorsorge

Mit Blick auf unsere steigende Lebenserwartung und wachsende Zahl älterer Menschen in der Bevölkerung gilt es, auch Vorbeugung und Vorsorge individuell zu gestalten. Das kann bedeuten, sich der eigenen Prädisposition bewusst zu sein – wir wissen heute, dass Menschen von vornherein mehr oder weniger anfällig oder empfindlich für verschiedene Erkrankungen sind. Die Prädisposition kann erblich bedingt sein oder auch durch bestimmte Lebensumstände und Gewohnheiten. Und in vielen Fällen kann man eine Vorbelastung oder hohe Anfälligkeit an bestimmten molekularen Merkmalen festmachen. Entsprechend sensibilisiert können Betroffene relevante Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen, um eine auftretende Erkrankung so früh wie möglich zu erkennen. Heute versteht man zudem immer besser, warum auch Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis oder Demenz – die häufig im höheren Alter einsetzen – in sehr unterschiedlichen Ausprägungen auftreten. Ihre Behandlung könnte künftig besser an die betroffene Person angepasst werden, ähnlich wie beim breiten Spektrum der Krebserkrankungen.

Persönliches Profil statt Durchschnittswerte

Zu unserem Wissen über Prädispositionen kommt, dass jede und jeder Einzelne viel über den eigenen Körper erfahren kann: vom Gewicht über die Pulsrate bis hin zum Blutzuckerwert. Es gibt zahlreiche technische „kleine Helfer“, die leicht in den Alltag zu integrieren sind und uns mit Informationen versorgen – über unser Verhalten, unsere Vorlieben und die Reaktionen unseres Körpers darauf. Ein großer Wert liegt in der Möglichkeit des kontinuierlichen „Monitorings“: Sensoren und Apps erfassen Messwerte über die Zeit und zeichnen sie auf. Mit ihrer Hilfe können Menschen persönliche Profile erstellen, beispielsweise von ihren Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten und verschiedenen körperlichen Parametern. Misst ein Gerät dann eine auffällige Abweichung von diesem ganz persönlichen Profil, kann die Person reagieren und bei Bedarf medizinischen Rat einholen. Auch und gerade die Pflege anderer Menschen können diese technischen Möglichkeiten deutlich verbessern und erleichtern. Sie versetzen uns in die Lage, uns in vieler Hinsicht aktiv gesund zu (v)erhalten, gezielt vor drohenden Erkrankungen zu schützen oder deren Verlauf zu verlangsamen.

Selbst aktiv für die eigene Gesundheit

„Eine kontinuierliche Messung ist etwas ganz anderes, als wenn zweimal im Jahr beim Hausarzt der Puls gemessen wird“, sagt Dr. Maike Rochon, Expertin für Life Sciences und Gesundheitswirtschaft am Innovationszentrum Niedersachsen. Richtig eingesetzt können die „kleinen Helfer“ viel zur Gesunderhaltung und Krankheitstherapie beitragen. „Wenn ich will, kann ich meine Smartwatch zum Beispiel so einstellen, dass sie mich nach drei Stunden am Schreibtisch daran erinnert, mich mal wieder zu bewegen.“ Anstelle des oder zusätzlich zum Yoga oder Fitnesskurs zu festen Zeiten, kann sie sich ihrem individuellen Bedarf entsprechend im Alltag Bewegung verschaffen. Eine Pflegekraft im Schichtdienst dagegen würde von ihrer Schlafmanagement-App vielleicht eher ermahnt, sich eine Auszeit auf dem Sofa zu gönnen.
Ganz persönlich eben.

 

(Autorin: Dr. Ulrike Schneeweiß, Freie Wissenschaftsautorin, im Auftrag der LINGA, Bild Header: Karolina Grabowska/pexels)